Review


Hundsverlochete
Eros at Arms und Säegisse Rock spannten zusammen, um das Hundsverlochet zu Oranisieren. Das Resultat: Kaffee und Kuchen bei lupfiger Tanzmusik von Langnau Retour am Rande der (Züricher) Zivilisation, bevor in der dunke Stube von der Alten Gärtnerei Holzerhurd, Kvelgeyst, und Hagzissa zum Black Metal Konzertabend anstimmte. Unterbrochen und abgerundet wurden die härteren Klänge von Staad mit einer mit Dark Ambient untermalten Filminstallation und Performance.
Als Auftakt für das Hundsverlochet wurde Langnau Retour angeheuert – eine „Einstimmungen in den heutigen Ländlerabend“ mit „lupfiger Tanzmusik“. Als einzige spielen sie draussen, zum Glück, denn schon nach wenigen Liedern öffneten die Wolken ihre Schleusen. Zwar spielte Langnau Retour unter einem grossen Sonnenschirm, und einige hatten auch in weiser Voraussicht schirme mitgebracht – aber bei weitem nicht alle, und als die tropfen etwas stärker fielen, legte das Trio eine Regenpause ein. Alsdann es nicht mehr ganz so fest regnete, stimmte Langnau Retour wieder an, und entführte das Publikum in die musikalischen Welten der Alpenkantone. Natürlich immer mit einer kleinen Erklärung wo das Stück herkommt, und was daran besonders ist – zum Beispiel die seltsamen Tonarten der Walliser und Innenschweizer Volksmusik. Just zum Ende fängt es wieder stärker an zu regnen.
Als ich meine Ausrüstung mitsamt wasserdichtem Rucksack nach innen bugsiere, überhöre ich, wie jemand über mich sprach, und der Person neben ihm erklärte, dass ich ganz normal aussehen würde, auch wenn ich auch das Rock The Hell fotografierte. Ich muss sagen, dass der Unterschied zwischen den Leuten hier und dort nicht ganz so gross ist wie man ihn sich vielleicht vorstellt – die hier getragenen schwarzen Bandshirts haben nur weniger farbenfrohe Aufdrucke.
Für Holzerhurd strömt die Menge in’s trockene und (noch) kühle innere der Alten Gärtnerei. Die Züricher Band ist zwar nach einem Ort am anderen Ende der Stadt benannt, aber wie die Band erzählt, sind sie von ganz in der Nähe, denn ihr Proberaum ist in Albisried. Irgendwie regen die Orts- und Flurnamen der Züricher Agglomeration die Fantasie mehr an, als sie es anderswo tun, und schon beim Warten auf meinen Bus (Linie 80, Endstation Triemlispital) lass ich mich von den Büssen und Trams inspirieren die vorbei fahren (Linie 31, Endstation Hermetschloo), und auf der Anzeigetafel erscheinen (Linie 78, Endstation Dunkelhölzli). Vielleicht der zukünftige Namensgeber einer helvetischen Black Metal Band für Kinder à la Heavysaurus, oder die Deutschschweizer Antwort auf Metallikids… Zurück zu Holzerhurd, die zwischen langen instrumentalen Passagen die Agglomeration besingen, während die Lichtspirale im Hintergrund rhythmisch aufleuchtet und das Publikum hypnotisiert. Nur der anwesende Videograf, der sich auf die Bühne und zwischen die Band drängt, lenkt von der Darbietung ab. Im Verlaufe des Sets trat er auch auf eines meiner Objektive – zugegebenermassen liess ich sie auf einer Bank stehen, mit dem Wissen, dass eventuell jemand drauf sitzen könnte – aber dass das Objektiv als Tritthilfe oder Schuhabkratzer missbraucht werden könnte, konnte ich nicht ahnen, bis es voller Schlamm war. Nicht so schlimm, denn das Weitwinkelobjektiv funktioniert immer noch genau gleich schlecht wie zuvor. Holzerhurd verkündete, dass ihre erste EP „Am Rand“ auch hier zum Kauf erhältlich sei, und dass eine neue Platte für den Sommer geplant sei – mit dem Titel „Wunderland“.
Mit Kvelgeyst ging’s weiter, dem „Scheidungskind“ von Jünger Tumilion und Eventorganisator Säegisse Rock, die bis vor kurzem unter dem Namen Helvetic Underground Committee gemeinsame Sache gemacht haben. Kvelgeyst bleibt unter gemeinsamer Obhut. Die leuchtende Spirale von Holzerhurd fiel für ihr Bühnenbild weg, und das noch spärlichere Licht liess den angetrockneten Dreck in den Antlitzen der Band noch gfürchiger erscheinen. Schon vor Konzertbeginn füllte sich der Raum mit Kunstrauch, und als der Auftritt von Kvelgeyst die Gemüter und den Konzertaustragungsort erhitzte, verwandelte sich bei geschlossener Tür die Alte Gärtnerei in ein Triebhaus – ich weiss nicht, ob ich schwitze, oder ob die Luftfeuchtigkeit auf meinem Gesicht kondensiert. Heute steht das Trio als Quartett auf der Bühne, um mit den Multiinstrumentalisten der Band auch (fast) alle Instrumente abdecken zu können. Trotz voller Bühne stand der Kameraman wieder während mehreren Songs auf der Mitte der Bühne und steckt sowohl Band als auch Publikum die Kamera ins Gesicht. Ganz am Anfang meines Schaffens als Hobbykonzertfotograf.in kontaktierte ich mal einen Konzertorganisator, der mir schrieb, dass das beste Kompliment, dass man einem Konzertphotographen machen kann, ist „Ah? Du bist da gewesen? Ich habe dich gar nicht gesehen!“. Passiert mir äusserst selten, und klappt sehr schlecht bei kleinen aber gut besuchten Konzerten wie dieses, denn ich bin (leider) keine Fliege an der Wand. Trotzdem – einen Rat (bzw. in diesem Kontext eine Drohung) den man sich zu Herzen nehmen kann, bei jeglicher Art von Eventfoto- und -videografie. Diskretion ist das A und O – und auch wenn man den Videografen oft ihre Transgressionen verzeiht, sollten die Grenzen auch nur ganz kurz überschritten werden. Hoffen wir mal, dass aus dem Material was wird. Kvelgeyst liessen ihr Konzert mit „Sefiroth – Schalenleib des Welten Alls“ ausklingen, der Vokalist begab sich für seine letzten Schreie in die Menge, während sich der Videograf versuchte, hinter dem Schlagzeug hervorzuklettern.
Mit Staad kehrt wieder Ruhe in die gute Stube. Das Ambient Folk Projekt aus Deutschland nahm das Publikum auf eine Reise in die Welt der Mythen und Rituale der Alpenregionen. Wir werden von mit ambienten Tönen untermalten Kuhglocken begrüsst. Dazu wurden Szenen aus altertümlicher Landwirtschaft und Natur auf die Wand projiziert, immer und immer mehr mit Schnee bedeckt; die Kuhglocken wechselten sich mit dem gesprochenen Wort ab, Gedichte über den Winter, das Frieren, den Tot. Die Bilder sprangen zwischen bedrohlichen Felsen und schlangenartigen Bäumen hin und her, von KI zum Leben erweckt, zerschmolzen in einander und wurden zu Gliedmassen und anderen menschlichen Körperteilen. Zur bis dahin Ein-Mann-Show kam eine zweite Gestalt dazu, diesmal auf der Bühne. Im Licht der Projektion und mit einer Maske verhüllt ergänzte sie die Klangwelt von Staad mit einer Maultrommel und weiteren Glocken. Jetzt schmolz das Eis davon, die Welt auf der Projektion erwachte wieder in den Frühling, begleitet von Kuhglocken. Die Dämonen und die bösen Geister des Winters wurden vertrieben, der Karneval, die Tschäggättä, die Fasnacht ist vorbei ganz im Sinne des bäuerlichen Naturverständnisses einer längst vergangenen Zeit. Nicht der Frost und das Eis, sondern die Hitze und das Tauen von Gletschern, Permafrost ist es, was das alpine Leben erschwert. Müssten nicht die bösen Geister der Hitzewellen und Sonne verscheucht werden, um uns im Winter in der Kühle ausruhen zu können? Staad entführte das Publikum weiter in die Vergangenheit, projiziert prähistorische Wandmalereien, archaische Symbole und himmlische Bilder; wir entfernten uns von der Erde und begaben uns zwischen fallenden Sternschnuppen in die kosmischen Weiten. Draussen ist es immer noch hell; kühl, vielleicht sogar kalt – die letzte Hitze lag eine Woche zurück, die nächste eine Woche in der Zukunft.
Nach kurzer Pause lockt Hagzissa nach drinnen, angekündigt von Glockengeläute. Die Band begrüsst uns im immer noch (oder wieder) mit Weihrauch geschwängerten Raum, zuerst nur instrumental, bis der Vokalist, mittelalterlich gekleidet, durch die Menge brach und einstimmt. Wie ich später herausfinde, rezitierte er im Sprechgesang von Goethes Faust. Er verrenkte sich wie besessen, tanzt und hüpft in löchrigen Socken um den Mikrofonstativ herum als sei es ein Feuer und er Rumpelstilzchen. Seinen Namen verrät er uns nicht. Begleitet wurden die stimmliche und körperliche Akrobatik mit unkompliziertem Black Metal, weniger melodiös als das was zuvor zu hören war, etwas punkiger, etwas primitiver. Eine exzellente Wahl um den Abend abzuschliessen und nochmal die Sau rauszulassen; es brauchte also nicht lange – jedenfalls für hiesige Black Metal Konzert Verhältnisse – bis die Energie von Band zu Publikum übersprang, und sich eine kleine Moshpit bildete. In der Zwischenzeit verschwand die Band mitsamt Bühne in dichten Nebel, und auch die ersten Reihen des Publikums wurden von den Schwaden verschluckt, es wurde immer heisser. Das hielt aber weder Band noch Publikum davon ab, für den abschliessenden Song nochmal alles zu geben; schliesslich wartete draussen die kühle Nachtluft. Ein gelungener Abend.